Treibhausgas unterm Meeresboden: Wie dicht sind die Endlager?
Gas raus, Gas wieder rein: Die erschöpften Erdgasfelder im Untergrund vor der norwegischen Küste sollen bald ihren zweiten Frühling erleben – und zwar als Endlager. Klimaschädliches Kohlendioxid wollen Fachleute dort tief unter den Meeresboden pumpen und fern der Atmosphäre wegsperren. Mehr noch, Norwegen fördert diese Technologie mit Milliarden Euro. Auf mögliche Risiken dieser Endlager unter Wasser entgegnete einmal der ehemalige Öl- und Energieminister Norwegens, Terje Søviknes: »Bei einem Leck wäre niemand gefährdet, das Kohlendioxid würde sich einfach in der Atmosphäre verteilen.« Doch beides stimmt nicht ganz, meinen Meeresforscher.
Derartige Verfahren, das Treibhausgas nachträglich aus der Atmosphäre zu entfernen und anschließend im Untergrund zu speichern, fasst man unter der Bezeichnung Carbon Capture and Storage (CCS) zusammen. An den Schloten der Kohlewerke, den Schornsteinen von Zementwerken, von Biogasanlagen oder gar direkt aus der Umgebungsluft kann das klimaschädliche Gas herausgefiltert werden – wenngleich mit großem Aufwand. Auch die EU machte schon vor Jahren mehr als zwei Milliarden Euro für die Entwicklung der CCS-Technologie locker, denn es wird immer schwerer, die Klimaziele ohne diese »negativen Emissionen« noch zu erreichen. Allerdings wurden mit dem Geld noch keine Demonstrationsprojekte in der EU gebaut: CCS ist bislang zu teuer und nicht gerade einfach. Ein weiterer Grund ist die mangelnde Akzeptanz der Bevölkerung für ein solches Kohlendioxid-Endlager in der Nähe besiedelter Gebiete.
Inzwischen drängt die Zeit, wie die aktuellen Abschätzungen der Klimaziele für 2018 zeigen. Aus diesem Grund haben die nationalen Wissenschaftsakademien in ihrem europäischen Verbund EASAC (European Academies Science Advisory Council) im Februar 2019 angemahnt, verstärkt nicht nur CO2 zu vermeiden, sondern zusätzlich das Gas nachträglich aus der Luft zu filtern, um es dann fern der Atmosphäre unterirdisch zu lagern. Und so bieten sich die Speicher im Meeresuntergrund weit weg von menschlicher Besiedlung an, möglichen Protesten der lokalen Bevölkerung auszuweichen.
Wie dicht sind die Gasspeicher?
Mike Norton, Direktor des Umweltprogramms der EASAC, zu der unter anderem Norwegen gehört, weiß auch schon, wo: Er sieht die Erdgasfelder vor Norwegens Küste als die am weitesten fortgeschrittenen Anlagen an. Aber ganz so gefahrlos, wie Exminister Søviknes die Idee verkaufen will, ist sie nicht. Das ist jedenfalls das Ergebnis des EU-Projekts ECO2, in dessen vier Jahren Laufzeit rund 100 Geologen, Biologen, Chemiker, Rechts-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler mit einem Etat von 13 Millionen Euro mögliche Umweltrisiken ermitteln sollten. Noch nie zuvor wurden CO2-Effekte durch CCS auf das Leben am Meeresgrund so umfangreich untersucht. Im Abschlussbericht mahnen die Forscherinnen und Forscher vor katastrophalen Folgen für das Ökosystem in der Tiefe, wenn das Gas wieder austritt.
Die Technik selbst ist erprobt. Schon heute drückt Norwegen in der Nord- und Barentssee Kohlendioxid in den Boden. Es fällt bei der Förderung von Erdgas als unerwünschtes Nebenprodukt an, und da in dem skandinavischen Land Emissionen dieser Art hoch besteuert sind, lohnt sich der Aufwand finanziell. Auf der Nordseeinsel Melkøya trennt man jedes Jahr um die 700 000 Tonnen Kohlendioxid vom Erdgas – eine Menge, die den jährlichen Emissionen von mehr als 330 000 Autos entspricht. Das Gas wird anschließend in die Sandsteinformationen im Meeresgrund gepumpt.
Um möglichen Leckagen dieses Meeresgrabs nachzugehen, hat Klaus Wallmann vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel ein Dutzend Expeditionen zu den Speichern im Meer unternommen. Sein Fazit: Bislang konnte er mit seinem Team keine Leckage entdecken. Aber das wird nicht so bleiben, so Wallmann: »Wenn wir einen merkbaren Klimaeffekt sehen wollen, müssen wir über hundertmal mehr Kohlendioxid in den Untergrund verpressen als bisher. Dann sprechen wir von 100 Millionen Tonnen Gas, und dann machen sich Schwachstellen bemerkbar.« Die Forschenden identifizierten sie mit seismischen Messungen und fanden einige instabile Stellen, zum Beispiel mehrere, teils kilometerlange Frakturen. Neben diesen Rissen im Meeresboden sehen sie auch alte Bohrlöcher oder natürliche Erdgasquellen als zukünftige Gaslücken an. Sie schätzen, dass aus den zukünftigen Kohlendioxidgräbern je Bohrloch um die 20 Tonnen pro Jahr herausblubbern könnten.
Doch erreicht das Gas überhaupt wieder die Oberfläche? Das Forschungsteam startete ein Experiment in der Nordsee: Es begaste den Meeresboden einen Tag lang mit dieser Menge an CO2. In seinem im »Journal of Greenhouse Gases« veröffentlichten Artikel konstatiert Wallmann, dass das Gas sich rasch im Bodenwasser auflöst, bevor es die Oberfläche überhaupt erreicht. Dafür bildet sich am Meeresgrund Kohlensäure, die den pH-Wert absenkt und das Meer so auf rund 1000 Quadratmetern saurer macht. Ernsthafte Schäden erwartet er auf einem Zehntel der Fläche.
Versauertes Bodenwasser
Wallmanns Untersuchungen gefallen nicht allen: »Wir sitzen mit unseren Ergebnissen zwischen den Stühlen. Die Industrie würde lieber hören, dass nichts entweicht, und die Kritiker monieren, dass wir die Schäden als klein bis moderat ansehen.« Ganz so einfach sieht es Antje Boetius, Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung, nicht und meint dazu: »Das Problem ist ja insgesamt größer, denn wir haben noch nicht die richtigen Technologien, um Leckagen im Meer aufzuspüren, zu überwachen und zu beheben. Vor allem nicht in der Tiefsee.«
Aber stören sich die Organismen am Meeresgrund überhaupt an dem sauren Wasser? Der Chemiker Wallmann hatte eine Veränderung des pH-Werts gemessen, doch wie arg würde Pflanzen und Tiere das plötzlich angesäuerte Wasser überhaupt treffen? Massimiliano Molari vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie in Bremen hat dazu die Veränderungen in Meeresböden untersucht. Seine im Magazin »Science Advances« mit Kollegen veröffentlichten Ergebnisse fasst er so zusammen: »Ein Leck in einem Kohlenstoffspeicher unter dem Meer verändert grundlegend die Chemie in sandigen Meeresböden und damit die Funktion des ganzen Ökosystems. Es besteht ein beträchtliches Risiko, dass eine Leckage das Leben dort massiv umkrempelt.«
Lesen Sie dazu auch in der Juli-Ausgabe von »Spektrum der Wissenschaft« den Artikel über die verschiedenen Möglichkeiten, CO2 direkt aus der Atmosphäre zu ziehen.
Der Meeresforscher Molari hatte zusammen mit seinem Team die Meeresböden vor der Küste Siziliens als Untersuchungsgebiet ausgewählt. Dort entweicht Kohlendioxid aus vulkanischen Quellen kontinuierlich in den Meeresboden: ideale Verhältnisse, um unter realen Bedingungen Tests durchzuführen anstatt in einem künstlichen Tank in einem Labor. Ein weiterer Vorteil: Der Meeresboden ist dort vergleichbar sandig wie vor Norwegen. Sie nahmen in dem zwei Jahre dauernden Projekt in Feldstudien alle trophischen Ebenen – die Hierarchie der Nahrungsnetze – von Mikroorganismen bis hin zur Makrofauna unter die Lupe. In einem extra konstruierten Kasten transplantierten sie ein Stück sandigen Meeresboden mit natürlicher Schichtung und kompletter Tier- und Pflanzenwelt von einem unbeeinflussten Standort in die Nähe einer Gasquelle.
Umstrittene Effekte
Dabei stellten die Forscher um Molari auch Unerwartetes fest. Erst nämlich lösten die aufsteigenden Gasblasen alle Karbonate im Sand und transportierten zusätzliche Nährstoffe an die Oberfläche des Meeresbodens. So versorgt, wuchsen zwar jetzt kleinste Algen um ein Vielfaches besser, aber kleine und größere im Sand lebende Tiere konnten davon nicht profitieren. Ihre Anzahl und Vielfalt nahm ab: Trotz mehr Nahrung durch die Algen sank ihre Biomasse auf ein Fünftel. Auch für andere Mikroorganismen war die Begasung mit CO2 nicht folgenlos. Ihre Anzahl blieb zwar gleich, ihre Zusammensetzung änderte sich jedoch grundlegend – Folgen, die auch nach einem Jahr noch messbar waren.
Nur wenige Meeresbewohner konnten sich an die neuen Umweltbedingungen anpassen oder sich neu ansiedeln. Insgesamt verarmte die Meeresgemeinschaft am Boden an Vielfalt erheblich. Alles begrenzt auf die begaste Fläche, wobei es letztendlich auf die Größe der räumlichen Verbreitung ankomme. Wie groß der Schaden sein wird, ist umstritten. Immerhin hat der Austritt von Methan in der Nordsee schon gezeigt, dass der Untergrund alles andere als dicht ist. Und eine Sicherheit in 10 000 Jahren sei ebenso nicht zu gewährleisten. Es sei eben eine Abwägungsfrage – ökologische Schäden am Meeresgrund gegen globale Klimaschäden, so Klaus Wallmann vom GEOMAR.
Tor Martin Anfinnsen dagegen, der Vertriebschef des norwegischen Ölgiganten Equinor – ehemals Statoil –, preist die Lagerung an: »Die Speichermöglichkeiten vor unserer Küste sind praktisch unbegrenzt. Wir könnten dort für Hunderte von Jahren alle europäischen Emissionen aufnehmen.« Doch damit unser Aufwachen aus der Klimakatastrophe kein zu großer Albtraum für die Meeresbewohner wird, mahnt die Meeresbiologin Antje Boetius, umsichtig vorzugehen. Die Tiefseeforscherin wünscht sich, dass bei der Standortwahl und Planung von Kohlenstoffspeichern unter dem Meeresboden auch ein genauer Blick auf die dortigen Bewohner und ihr Ökosystem geworfen wird, um Schäden so gering wie möglich zu halten. Für Antje Boetius ist es »dennoch eine traurige Diskussion, die zeigt, dass wir an einem Punkt sind, wo lokale Risiken für das Meer mit den großen weltweiten Schäden durch die schleichende Erwärmung und Versauerung gegengerechnet werden müssen. Für mich sind solche Eingriffe nur der letzte Notnagel – aber es wird immer wahrscheinlicher, dass wir Wege zur Speicherung von CO2 brauchen, wenn wir nicht schnell genug insgesamt umsteuern bei der Verwendung fossiler Brennstoffe wie Kohle, Erdöl und Erdgas.«
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